Seit über vier Jahren setzt sich der Berliner
Erwerbslosenaktivist Ralph Boes gemeinsam mit der Bürgerinitiative
bedingungsloses Grundeinkommen e.V. dafür ein, die Kürzungspolitik im
Hartz-IV-System abzuschaffen. Seit fast drei Jahren ist er vom
Jobcenter durchgehend zu 100% sanktioniert, was auch den Wegfall der
Krankenkasse und Wohnung bedeutet hätte, wären nicht Unterstützer mit
Darlehen eingesprungen. Nun liegt die Frage, ob Sanktionen dem
Grundgesetz widersprechen, endlich dem Bundesverfas-sungsgericht vor.
Mit diesem Teilerfolg sieht Ralph Boes keinen Grund mehr, weitere
Darlehen für den Lebensunterhalt anzunehmen und hungert seit dem
1. Juli 2015.
Im Lichte des Grundgesetzes
„Und wollen wir dann ein Banner oder so dahinter
machen?“ frage ich. „Nein, kein Banner! Das soll alles ganz still sein und
schlicht“ hält Ralph dagegen. „Wir könnten aber einen großen Kreis um die
Stelle malen“, ergänzt Maurice und plötzlich ist er mal wieder da, dieser
magische Moment in der Bürgerinitiative, wo jeder spürt, jetzt haben wir
das gefunden, was wir gesucht haben! |
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Ralph will zum Sanktionshungern in der Öffentlichkeit sein. Vor dem Adlon,
im Sinne einer Kunstaktion, einfach an einem schlichten Tisch sitzen mit
zwei Stühlen. Eine Wasserkaraffe darauf und die Bereitschaft zum Gespräch.
Drumherum ein weißer Kreis, der anzeigt: hier ist ein eigener Raum. Ein
Raum der Stille, wie im Auge des Orkans. Ein Ruhepunkt, indem das Licht
des Grundgesetzes neu erstehen kann.
Die Verfassungsklage
Tatsächlich geht es eigentlich nicht um Ralph
Boes. Dieser hat zwar in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit auf sich
gezogen und nicht nur das Jobcenter durch sein Querdenken provoziert,
doch es geht um die Einhaltung bzw. Wiederbeachtung der Grundrechte
innerhalb des Sozialgesetzes. Das war von Anfang an das Anliegen von Ralph
Boes, als er im Sommer 2011 seinen öffentlichen
Brandbrief verfasste und
seinen Widerstand ankündigte. Ganz bewusst hat er Jobangebote verweigert,
um Sanktionen zu erhalten, die innerhalb der Hartz-IV-Gesetzgebung
rechtmäßig sind. Die darauf folgenden Klagen sollten nicht die Sanktionen
auflösen, sondern die Grundsatzfrage zum Bundesverfassungsgericht führen.
Damit hat Ralph Boes einen Sonderfall geschaffen, den sich normalerweise
niemand erlauben kann. Denn seit 3 Jahren ist Boes nahezu lückenlos zu
100%
sanktioniert, was ebenfalls den Entzug der Krankenkasse und
Mietzahlungen betrifft. Dies konnte nur durch die Solidarität von außen
ermöglicht werden. Außerdem gingen Spenden ein, um ein juristisches
Gutachten zur Verfassungswidrigkeit der Sanktionspraxis zu erstellen,
welches im August 2013 schließlich zur freien Verwendung ins Netz gestellt
werden konnte.
Und dann passierte es: das Sozialgericht in Gotha gab im Mai 2015 einem
Kläger aus Erfurt Recht, der das Gutachten in seiner Klage verwendet hatte
und reichte die Frage ans Bundesverfassungsgericht weiter. Endlich.
Das Ende der Aktion?
Der Fall in Gotha brachte eine Wende innerhalb der Aktion von Ralph Boes.
Er schrieb in einem
erneuten Brandbrief an seine Freunde: „die
Richtervorlage gegen die Sanktionen in Hartz IV ist jetzt im
Bundesverfassungsgericht angekommen. (…) Ich habe deshalb beschlossen, die
Aktion nach Maßgabe der in ihr selbst liegenden Gesetze zu Ende zu führen.
(…) D.h., ich werde jetzt "empfindlich" werden und ab sofort die
Sanktionen so nehmen, wie sie jeden von uns treffen. Da ich aber weiter
unbeugsam sein werde, weil meine Aufgabe ja bei weitem nicht erledigt ist
und nichts weniger erlaubt ist, als der Kompromiss mit der Lüge und der
Unwahrhaftigkeit, kann man sich vorstellen, was das heißt: So, wie das
System veranlagt ist, werde ich bald zu Tode kommen.“
Es war Gandhi, der seinen gewaltfreien Widerstand als
Experiment mit der Wahrheit bezeichnete. Im gleichen Geiste möchte Ralph
Boes die Politik und Gesellschaft mit dem konfrontieren, was täglich
tausendfach im Verborgenen geschieht: Menschen werden durch die Sanktionen
aus der Gesellschaft ausgeschlossen und ihrem Schicksal überlassen. Denn
nur, wer sich den oft unsinnigen Auflagen der Jobcenter fügt und auch
bedingungslos dem Niedriglohnsektor zur Verfügung steht, erhält
Sozialleistungen.
Darf das Lebensrecht eines Menschen davon abhängen, ob er sich
„systemkonform“ verhält? Inwiefern ist der Staat selbst „systemkonform“
im Sinne des Grundgesetzes und schützt die menschliche Würde, wenn er das
Existenzminimum entzieht?
Wie stark das Licht des Grundgesetzes ist, wird dieses "Experiment" nun
zeigen.
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Text von: Diana Aman
Diana Aman ist
Philosophin/Doktorandin, Moderatorin und seit 6 Jahren Vorstand der
Bürgerinitiative bedingungsloses Grundeinkommen e.V.
Weitere Infos auf:
ralph-boes.de |