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Ralph Boes

Berlin, den .......

 

 

 

Teil A:

 

 

Frage zur Verfassungsmäßigkeit des Arbeitsbegriffes in SGB II

 

 

 


 

Werden der ARBEITSBEGRIFF, den das Jobcenter vorlegt, und die Definition des "Interesses der Allgemeinheit", an dem das Jobcenter den Wert der Arbeit bemisst, dem Wesen der Arbeit, ihrem wahren Nutzen für die Gesellschaft und der Achtung und dem Schutz der Menschenwürde gerecht?

 

 

Der Arbeitsbegriff muss der Wirklichkeit entnommen sein und muss in die Wirklichkeit passen.  Ein nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmender Arbeitsbegriff erzeugt Unrecht, wenn er in Gesetz gegossen wird. [1]

 

Der Arbeitsbegriff in Hartz IV verbindet unmittelbar Arbeit und Einkommen und gesteht nur derjenigen Arbeit gesellschaftliche Relevanz zu, die auch "entlohnt" werden kann. [2]
Der Inhalt der Arbeit wird dabei ausgeblendet.

 

Es liegen dem zwei fundamentale Fehler zu Grunde. Der eine ist sachlicher, der andere verfassungsrechtlicher Natur.

 

 

A: Der sachliche Fehler:
 

1.) Arbeit ist mehr als Geldverdienen!

 

Durch seine Arbeit bestimmt der Mensch sein Verhältnis zur Welt und betreibt die Entfaltung seiner Fähigkeiten und seines Wesens.

 

Als Arbeit im vollmenschlichen Sinne ist jede Tätigkeit zu betrachten, die ihn und die Welt bildet und weiter bringt – unabhängig davon, ob sie sich innerlich [3] oder äußerlich vollzieht und unabhängig davon, ob sie einen Gelderwerb ermöglicht oder nicht [4].

 

Da die Arbeit ein Haupt-Gebiet der Persönlichkeitsentfaltung ist, muss das Recht auf Selbstbestimmung besonders auf dem Gebiet der Arbeit gelten.

 

2.) Arbeit, die um bloßen Verdienst geleistet wird und den Inhalt der Arbeit ausblendet, ist durch Selbstsucht geprägt und widerspricht den wirklichen "gesellschaftlichen Interessen" oder den "Interessen der Allgemeinheit", welche zu vertreten von der Seite der Jobcenter immer vorgegeben wird.

 

In einer arbeitsteiligen Gesellschaft steht nicht mehr die "Selbstversorgung", sondern der Dienst am Anderen / an der Gesellschaft / an der Welt im Vordergrund der Arbeit.

 

"Gesellschaftliche Relevanz", "Sinn" und "Wert" einer Arbeit zeigen sich in einer arbeitsteiligen Gesellschaft nicht daran, ob und wie viel man damit Geld verdient (Selbstversorgung), sondern daran, ob unter ihrem Einfluss sich die Welt verbessert und erblüht (Fremdversorgung).  

 

Außerdem ist eine einseitig an den Verdienst gekoppelte Arbeit durch die Bedrohung mit dem Entzug von Einkommen oder des Einkommensplatzes bei fehlendem "Wohlverhalten" korrumpierbar.

 

3.) Arbeit, die unter Androhung von Sanktionen aufgezwungen ist, ertötet den inneren Menschen und beraubt die Gesellschaft der Kraft  und Initiative des Individuums.

Sie ist menschenverachtend und widerspricht den wirklichen Interessen der Gesellschaft.

 

 

B: Das verfassungsrechtliche Problem:

 

Bei der großen Bedeutung die die Arbeit für die Entfaltung der Persönlichkeit hat (s. oben A.1.), muss Arbeit vollständig im Bereich der Selbstbestimmung liegen!

 

Sie darf nur denjenigen Einschränkungen unterliegen, die in der Natur der Sache und in der Natur der verschiedenen Kompetenzen und der Zusammenarbeit der Menschen untereinander liegen.

 

Die Menschenwürde und das Recht auf Selbstbestimmung bzw. die freie Entfaltung der Persönlichkeit sind in erheblichem Masse eingeschränkt, wenn der Mensch zur Arbeit gezwungen wird, in einem Gebiete arbeiten muss, das ihn nichts angeht, oder nicht in einer seinem Wesen oder seiner Einsicht (Weltsicht) angemessenen Weise arbeiten darf.

 

Durch die scharfen Sanktionen und Zumutbarkeitsregeln in SGB II wird der Mensch jeder Möglichkeit zur Selbstbestimmung und zu von ihm selbst als sinnvoll empfundener Arbeit beraubt. Seine Würde wird nicht geachtet und geschützt, sondern er wird dem Arbeitsmarkt unterworfen, damit seine Arbeitskraft zum Wohl von Staat und Wirtschaft abgeschöpft werden kann. Außerdem werden durch die Zumutbar-keitsregeln seine Arbeitsbiographie entwertet und seine Qualifikationen dauerhaft gelöscht.

 

Das Argument, die Betroffenen könnten ja wo anders arbeiten gehen und würden nicht in den Niedriglohnsektor, in sinnfreie Beschäftigungsmaßnahmen usf. gezwungen, gilt hier nicht, weil gerade durch Hartz IV oft die "normalen Stellen" fehlen, der normale Arbeitsmarkt bewusst ausgedünnt und durch Niedriglohnarbeit ersetzt worden ist. Die Stellen, auf die so verwiesen wird, sind in der Realität nicht mehr da.  Der Unterwerfung ist so nicht auszuweichen.

 

Der Staat fördert durch Hartz  IV den Niedriglohnsektor und die "Flexibilisierung" des Arbeitsmarktes – und die Sanktionen sind das entscheidende Mittel, die Menschen zur Aufnahme von Arbeiten zu bewegen, ja zu nötigen, die ihren eigentlichen Bedürfnissen widersprechen. Würden die angebotenen Arbeits-verhältnisse den Bedürfnissen der Menschen entsprechen, könnten die Sanktionen entfallen.

 

Der dem SGB II unterlegte Arbeitsbegriff und der Begriff vom "Interesse der Allgemeinheit", dem sich das "persönliche Interesse" der Betroffenen zu fügen habe,  haben weniger den Menschen, sein Wohl und seine Würde als vor allem die Interessen der vorherrschenden Staats- und Wirtschaftsorganisation und das Interesse des Staatshaushaltes selbst (Generierung von Steuern) im Blick.

 

Menschen, die die wirklichen Erfordernisse der Welt erleben und ihnen entsprechen möchten, deren Arbeit sich nicht aufs Geldverdienen sondern direkt auf den Inhalt der Arbeit selbst bezieht, werden durch den Arbeitsbegriff des Jobcenters und durch die an diesen Arbeitsbegriff geknüpften sog. "Förderungen" und Sanktionen diskriminiert.

 

 

Hohes Gericht –

der Weg zur Befreiung der menschlichen Sexualität von gesellschaftlicher und politischer Bevormundung ist schon weit gegangen. Man denke nur an die mutigen Urteile aus Karlruhe für den Bereich der Homosexualität aus letzter Zeit.

Jetzt steht, im Namen der Menschenwürde und der freien Entfaltung der Persönlichkeit, auch eine Befreiung der menschlichen Arbeit von solcher Bevormundung an.

 

 

 


[1] Was hier nur für den Arbeitsbegriff  gesagt ist, träfe natürlich für alle Begriffe der Gesetzgebung zu.  

[2] Der Widerspruch tritt auf, dass das Hüten eigener Kinder nicht als Arbeit angesehen wird – das Hüten fremder Kinder aber schon – nur, weil mit letzterem Geld verdient werden kann.

[3] Lernen, Studieren, Meditation, therapeutische Arbeit an sich selbst, das Denken der Mutter über die Erziehung der Kinder, planen, sich orientieren und neu bestimmen etc. sind etwa innerlich vollzogene Arbeiten.

[4] Kindererziehung, Familienarbeit, Nachbarschaftshilfe, Nothilfe und ehrenamtliche Arbeit in jeder denkbaren Form, Umweltschutz, Kunst, die Arbeit der Beamten (Beamte arbeiten bekanntlich nicht für Geld! Sie erhalten eine Alimentation, die sie der Not des Geldverdienen-Müssens entheben soll, so dass sie unbeeinflusst von Geldsorgen tun können, was das Gesetz verlangt.) usw. usf. sind alles notwendige Arbeiten, die aus dem Arbeitsbegriff des Jobcenters herausfallen.